Trauern mit Leichtigkeit? – Im Gespräch mit Christine Kempkes

Interview mit einer inspirierenden Trauerbegleiterin aus dem Bohana-Netzwerk

Dass wir vor einigen Monaten Partner bei Bohana geworden sind, war wahrscheinlich eine der absolut besten Entscheidungen, die wir treffen konnten. Denn durch das Netzwerk haben wir schon eine Reihe ganz besonderer Menschen kennengelernt, die uns inspirieren, berühren und gleichzeitig ein wenig beflügeln. Heute möchte ich Euch eine starke Frau vorstellen, die aus ihrer eigenen Trauer die Kraft gezogen hat, etwas wirklich Wertvolles zu schaffen: Christine Kempkes.

Christine ist Bestatterin, Trauerrednerin, Trauer- und Sterbebegleiterin, Autorin, Podcasterin und nicht zuletzt auch Familienmensch und Hobbysängerin (genau mein Ding!). Ihr Weg war alles andere als geradlinig – was interessanterweise bei Bestattern häufig der Fall ist. Die wenigsten streben wohl schon im Jugendalter diesen Beruf an – aber wenn sie ihn später ausüben, können sie sich oft kaum etwas Schöneres vorstellen.

Ich habe Christine einige Fragen gestellt – und ihre Antworten darauf haben mich wirklich beeindruckt. Klar und schnörkellos, gepaart mit einer unglaublichen Tiefe und Herzlichkeit und einem herrlich positiven Blick auf das, was wirklich zählt. Ich hoffe, Ihr genießt dieses Interview genauso wie ich.

Bild: Eve Sundermann-Biesen (Fotografie Objekteve)

Wir hinterlassen Spuren im Leben.

Liebe Christine, danke dass Du Dir die Zeit für meine Fragen nimmst. Anlass für meine Anfrage für ein Interview mit Dir war ja Dein Instagram-Post, dass Du jetzt Mastercoach für integratives Emotionscoaching bist, wenn ich das richtig ausgedrückt habe. Kannst Du mir vielleicht genauer erklären, was das bedeutet?

Ja genau, und die offizielle Bezeichnung ist emTrace® Mastercoach! Der Begriff setzt sich zusammen aus emotion und trace, also übersetzt „Emotionsspur“. Alles, was wir in unserem Leben erleben, hinterlässt Spuren in unserem Gehirn. Nicht alle dieser Spuren stärken uns, manche blockieren uns, weshalb wir beispielsweise immer wieder in gewohnte Verhaltensmuster verfallen. Gerade in Zeiten von Trauer kommen oft solche gewohnten, aber eben nicht immer hilfreichen Muster zu Tage. An diesen mit wissenschaftlich fundierten Interventionen punktgenau arbeiten zu können und somit neue, hilfreichere Spuren im Gehirn zu bahnen, bereichert meine Arbeit ungemein.

Alles, was wir in unserem Leben erleben, hinterlässt Spuren in unserem Gehirn.

Du bist Trauerbegleiterin, Bestatterin, Trauerrednerin, Podcasterin, Autorin … und eigentlich bist Du mal als Bankerin gestartet. Wie kam es, dass Du diesen ungewöhnlichen Weg gegangen bist?

Mein Lieblingszitat von Martin Walser „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße“ bringt es ziemlich auf den Punkt! Es haben sich immer wieder Weichenstellungen ergeben, an denen ich meinem Herzen gefolgt bin. Nach vielen Jahren Personal- und Führungskräfteentwicklung in einem Bankkonzern, ergänzt um eine systemische Coachingausbildung, war der Schritt in die Selbständigkeit als Trainerin und Beraterin für „Gesunde Führung“ eine dieser entscheidenden Weichen.

Einige Jahre später spürte ich nach einer eigenen Verlusterfahrung, dass ich mich auf das Thema Trauer fokussieren möchte. Damit ging die Entscheidung einher, in Teilzeit nebenbei wieder angestellt zu arbeiten, und es öffnete sich die Tür in die Bestatterszene. Von da aus war der Schritt zur freien Trauerrednerin nicht weit! Alles drei – Trauerbegleitung, Bestattung und freie Trauerreden – ergänzte sich ganz wunderbar. Ohne diese vielfältigen Erfahrungen hätte ich mein zweites Buch, das im Februar 2023 erscheinen wird, nicht schreiben können.

Seit diesem Sommer bin ich wieder voll selbständig mit dem Schwerpunkt auf das Thema Trauer am Arbeitsplatz und die Ausbildung von Trauerbegleiter:innen – hier schließt sich dann auch der Kreis zu meiner jahrelangen Erfahrung als Personalerin und Trainerin. Und ganz sicher wird meine Reise weitergehen, ich bin gespannt, wohin sie mich noch führt!

Bild: Eve Sundermann-Biesen (Fotografie Objekteve)

Trauer hatte in Deinem Leben bereits ganz verschiedene Gesichter – wie hat das Dich und Deine Arbeit mit Menschen und ihrer Trauer geprägt?

Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer eigenen Geschichte genau die Menschen anziehen, die mit uns in Resonanz gehen. Meine allererste zahlende Klientin war beispielsweise eine Frau, die um ihre Katze trauerte. Als Tierliebhaberin, die natürlicherweise auch schon viele Abschiede von geliebten Haustieren erlebt hat, war sie damit natürlich bei mir gut aufgehoben! Häufiger begleite ich Menschen in bzw. nach einer Trennung, viele meiner Klient:innen haben familienbiographische Prägungen durch Krieg bzw. Flucht und Vertreibung – Themen die sich in meiner Biographie ebenfalls finden.

Meine eigenen Erfahrungen tragen sicher zu einem guten Gespür bei, den entscheidenden Trauerfacetten auf die Spur zu kommen. Dennoch würde ich aber nicht sagen, dass wir als Trauerbegleitende dasselbe durchgemacht haben müssen, wie unsere Klient:innen. Im Gegenteil, darin steckt immer auch die Gefahr, zu sehr durch die eigene Brille zu schauen und eigene Erfahrungen über die des Gegenübers zu stülpen. Da braucht es viel Abstraktions- und Reflexionsfähigkeit!

Trauer und Leichtigkeit – wie geht das zusammen?

Für Dich darf Trauer auch mal leicht sein, habe ich auf Deiner Webseite gelesen. Erzähl mir mehr darüber – wie bringst Du Trauer und Leichtigkeit zusammen, wenn sie im ersten Moment doch gefühlt eher einen Widerspruch darstellen?

Humor ist ein wundervolles Ventil, um eine Prise Leichtigkeit in schwere Situationen zu bringen. Ich liebe es beispielsweise, die Trauer zu personalisieren, ihr einen Namen zu geben und ein Aussehen. Manchmal, je nach Neigung, malen Klient:innen auch ihre Trauer. Da steht dann z.B. ein breitbeiniges Wesen, strubbelig, mit großen Augen und hängenden Flügeln. Wenn wir ihm nun Ringelsocken und Holzclocks anziehen, wird es schon ein bisschen leichter.

Trauernde sind oft sehr streng mit sich selbst, fühlen sich gefangen in eigenen Ansprüchen und äußeren Zwängen.

Dann kann es helfen, sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen, die eigenen Trauerschleifen mit etwas Abstand und einem Schmunzeln liebevoll zu betrachten.

Natürlich ist es manchmal ein schmaler Grat! Ich brauche zunächst ein wenig Zeit, um ein Gespür für mein Gegenüber zu bekommen und einschätzen zu können, welche Art von Humor verriegelte Türen öffnen könnte.

Bild: Eve Sundermann-Biesen (Fotografie Objekteve)

Trauer findet in verschiedenen Lebensbereichen statt.

Als ehemalige Führungskräftetrainerin ist das Thema „Trauer am Arbeitsplatz“ einer Deiner Schwerpunkte. Da gibt es in unserer Gesellschaft sicher noch einiges zu tun, bis wir zu einem guten Umgang mit Trauer im Berufsleben finden, oder? Was läuft (noch) schief und wo sollten wir hier aus Deiner Sicht am besten ansetzen?

Das ist eine sehr große Frage! Ich erlebe, dass in den letzten Jahren schon einiges in Bewegung gekommen ist. Über das Gesundheitsmanagement ist in Unternehmen schon vielfach ein Bewusstsein entstanden, dass Mitarbeitende als „ganze Menschen“ und nicht nur als „Arbeitskraft“ zu behandeln sind. Dazu gehört dann folgerichtig auch, sie in Krisen- und Trauerzeiten so zu unterstützen, dass sie möglichst stabil arbeitsfähig bleiben bzw. werden. Das ist allerdings keine Einbahnstraße, in der ausschließlich die Arbeitgeber gefordert sind. Es braucht ein gutes Zusammenwirken aller Beteiligten, wie Führungskräfte, Personaler, ggf. Betriebsärzte und Betriebs- oder Personalräte, und zwar Hand in Hand mit dem/der Mitarbeiter:in.

Trauer am Arbeitsplatz ist mehr als nur Trauerbegleitung in einem betrieblichen Umfeld

Hier sehe ich auch das größte To Do: Trauer am Arbeitsplatz ist mehr als nur Trauerbegleitung in einem betrieblichen Umfeld. Es ist auch Organisationsentwicklung, Gesundheitsmanagement und Coaching, es braucht Knowhow im Individual- und Kollektivarbeitsrecht und in Teamprozessen. Und vor allem braucht es unternehmerisches Denken, denn es gilt eben nicht nur die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu sehen, sondern auch die betriebswirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten mit einzubeziehen.

Da es diese Kombination verschiedener Professionen und Expertisen bisher noch viel zu wenig gibt, entwickle ich gerade gemeinsam mit meiner Kollegin Petra Sutor, die das Buch „Trauer am Arbeitsplatz“ geschrieben hat, ein Gütesiegel, nach dem wir ab 2023 Fortbildungen anbieten werden.

Trauer um ein geliebtes Haustier

Als letzten Punkt möchte ich mit Dir noch über die Trauer um ein Haustier sprechen. Da scheint es mir manchmal, als ob dafür noch weniger Verständnis aufgebracht wird, als für die Trauer um einen Menschen – gerade wenn man etwas länger trauert als nur ein oder zwei Wochen. Wie erlebst Du das in Deiner Praxis und was kannst Du Menschen, die sehr unter dem Verlust ihres Haustieres leiden, mit auf den Weg geben?

Haustiere sind für viele Menschen mehr als nur ein weiterer Mitbewohner. Manchmal sind sie Partner- oder Kindersatz, sehr häufig sind sie Seelenverwandte. Sie helfen, Stress abzubauen, sind die besten Zuhörer:innen und ihre Anwesenheit tut einfach immer gut. Ich sage gern, dass sich niemand so sehr freut, wenn ich nach Hause komme, wie mein Hund! Tiere lieben uns bedingungslos. Die Forschung konnte nachweisen, dass wir beim Streicheln ihres Fells unser Glückshormon Oxytozin ausschütten.

Es ist also überhaupt nicht verwunderlich, dass wir trauern, wenn unser geliebtes Haustier stirbt. In der Arbeit mit meinen Klient:innen versuche ich genau diese Botschaft zu transportieren: sie sind nicht falsch mit ihren Gefühlen und sie dürfen sich den Raum nehmen, auf ihre eigene Art und in ihrem eigenen Tempo ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Trauer ist die ganz natürliche Reaktion, wenn wir etwas für uns Wertvolles verloren haben: das können Menschen, Fähigkeiten (z.B. nach einer Knie-OP nicht mehr skilaufen zu können), berufliche Perspektiven, Heimat, Lebensphasen (z.B. der Auszug der Kinder) oder eben Haustiere sein.

Bild: Eve Sundermann-Biesen (Fotografie Objekteve)

Liebe Christine, herzlichen Dank für Deine wirklich beeindruckenden Einblicke!

Wenn Ihr Euch selbst mehr mit dem Thema Abschied beschäftigen möchtet – für Euch selbst oder jemanden, der Euch nahe steht – seien Euch Christine’s Bücher sehr ans Herz gelegt:

Christine’s Bücher

Christine’s erstes Buch aus 2020: Mit der Trauer leben lernen. Impulse für eine neue innere Balance.

Dieser Ratgeber greift viele ganz praktische Themen auf, die Trauernde beschäftigen. Aus ihrem reichen Erfahrungsschatz als Bestatterin und Trauerbegleiterin behandelt sie bspw. Fragen wie:

  • Was ist Trauer überhaupt und wie zeigt sie sich?
  • Wie begegne ich Kolleg:innen, Freund:innen etc.? Wie kommuniziere ich, was ich jetzt brauche?
  • Wie gestalte ich Feier- und Jahrestage freudvoll trotz und mit der Trauer?
  • Wie verarbeite ich intensive Gefühle von Traurigkeit, Wut, Scham oder Schuld?
  • Wie gehe ich mit Einsamkeit um?
  • Wie kann ich gut auf mich und meinen Körper achten, wenn sich alles sinnlos anfühlt?

Jeder Abschnitt enthält Übungen, die helfen, den Verlust zu verarbeiten. Zudem gibt es ergänzende Videos und Verweise auf thematisch passende Podcast Episoden.

Christine’s neues Buch erscheint am 22.02.2023, es heißt “Abschied gestalten – Die letzte Lebensstrecke bewusst erleben. Was am Ende wirklich zählt.” Das Buch gibt Hilfestellung und praktische Tipps, um sich auf der letzten Wegstrecke des Lebens mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen, achtsam mit den Zugehörigen im Gespräch sein und wirklich wichtige Themen besprechen und klären zu können, sodass sich alle Beteiligten angemessen auf das Lebensende vorbereitet fühlen.

Es ist ein Buch nicht nur für Menschen, die entweder durch eine Diagnose mit dem Lebensende konfrontiert sind oder z.B. durch das Realisieren, dass Eltern alt und älter werden, sondern eigentlich für JEDEN, weil es ja uns alle irgendwann trifft!

Christine’s Podcast “Liebevoll Trauern”

Und wer lieber hört als liest, der kann bei Christine in mehr als 60 Postcast-Episoden reinhören, die sich nicht nur mit praktischen Fragen wie Haushaltsauflösungen beschäftigen, sondern auch mit Emotionen wie Hilflosigkeit, Neid oder einer neuen Verliebtheit und all den Gefühlsachterbahnen drumherum.

Ich hoffe, dieser Beitrag war für Euch inspirierend, hilfreich und hat Euch noch den einen oder anderen Denkanstoß gegeben. Wir haben selbst gerade erst vor Kurzem wieder über unsere Vorstellungen für unseren eigenen Abschied gesprochen und ich kann Euch sagen: tut es! Es fühlt sich nachher einfach besser an. Und vergesst dabei nicht, rechtzeitig auch an persönliche Erinnerungsstücke zu denken ❤

Alles Liebe

Eure Katja

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