In Liebe gebettet – Interview mit Andrea Pechmann

Nestchen für die Allerkleinsten auf ihrem letzten Weg

Bei den Bohana-Netzwerktreffen, die in letzter Zeit fast immer online stattfinden, gibt es nach einer allgemeinen Einleitung durch die liebe Anne oft mehrere kleine “Breakout Sessions” (mir fällt kein passendes Wort dafür ein), wo die Teilnehmer zufällig zusammengewürfelt werden und sich so gegenseitig kennenlernen können. Die 10 Minuten Zeit, die man dann miteinander hat, sind meistens zu wenig. Beim letzten Bohana-Tag hatte ich das Glück, gleich zweimal mit Andrea Pechmann in einer Gruppe zu sein – und so konnten wir uns etwas intensiver austauschen.

Ich hatte von Andrea und ihren “Nestchen” schon vorher gehört und war umso mehr gespannt und fasziniert, ihre Geschichte zu hören. Und weil ich sie so berührend fand, habe ich Andrea gebeten, sie mir für unser Blog aufzuschreiben. Ihr wisst, ich finde es unglaublich wichtig, das Wissen über die verfügbaren Möglichkeiten, Abschied zu nehmen und Erinnerungen zu bewahren, zu teilen – denn immer noch hören wir zu oft: “wenn wir das nur schon vorher gewusst hätten, dass es so etwas gibt …”

Gerade für Sterneneltern gibt es heute viele Unterstützungsangebote. Aber im Bereich der Särge und Urnen gibt es nur wenig, was einem Sternchen wirklich den liebevollen Raum gibt, in den es die Eltern und Geschwister gern legen möchten. Umso schöner finde ich es, dass Andrea und ihr Mann Markus aus der stillen Geburt ihres Sohnes Florian den Wunsch und die Kraft geschöpft haben, diese Lücke zu füllen. Aber ich will gar nicht zuviel vorweg nehmen, sondern Andrea direkt zu Wort kommen lassen:

Liebe Andrea, Du hast, zusammen mit Deiner Familie, kleine „Nestchen“ für Sternenkinder entwickelt. Erzähl doch mal, wie es dazu kam.

Hallo liebe Katja, vielen lieben Dank für die Möglichkeit und Unterstützung unsere Geschichte und damit unseren Sohn Florian in die Welt zu tragen und ihn damit ein Stück weit “sichtbar” zu machen.

Florian kam im September 2016 unerwartet still zur Welt. Schnell war klar, dass es nichts Schönes und vor allem nichts Kindgerechtes für Sternenkinder gibt. Unabhängig von der Form und dem Wort “Sarg” störten mich hier vor allem der glänzende Satinstoff und die Tackernadeln sehr. So war ziemlich schnell klar, dass wir etwas eigenes machen (müssen).

Der Markenname Nestchen® kam dann etwas später hinzu. Hier ging mir um das Gefühl der Eltern, wenn sie ihr Kind ins Nestchen betten. Niemand möchte sein Kind beerdigen. Deshalb ist so so wichtig den Eltern in der ganzen Tragik und Traurigkeit ein möglichst gutes Gefühl vermitteln zu können. Ich glaube fest daran, dass das Nestchen® hier emotional einen großen Unterschied machen kann, wenn man weiß, dass das Kind für letzte Reise warm und muckelig gebettet ist. Die Trauer und die Erde sind schon kalt und dunkel genug.

Wir können nicht verhindern, dass viel zu viele Kinder sterben und ihre kleinen Füße niemals die Erde berührten, wir können aber dazu beitragen, dass die Eltern aufgefangen werden und in ihrer Trauer und ihren Bedürfnissen gesehen werden.

Ein Kind zu verlieren, stelle ich mir unglaublich schmerzhaft vor. Wie gehst Du heute damit um? Hilft Dir Deine Arbeit mit den Nestchen dabei, mit Deiner Trauer zu leben, oder werden durch die ständige Präsenz des Themas eher die Wunden immer wieder aufs Neue aufgemacht?

Der Tod eines Kindes ordnet die Welt neu. Prioritäten verändern sich, Beziehungen zerbrechen und neue, hoffentlich gut tragende, kommen hinzu. Vermutlich gibt es nichts, was das eigene Weltbild so sehr in Frage stellt. Unser Glück waren die beiden großen Kinder, für die wir weitermachen mussten. Und gleichzeitig fehlte uns dadurch auch die Zeit uns ganz auf unsere Trauer und unser Tempo einlassen zu können. Denn zeitgleich mussten wir ja auch die Trauer der Geschwister begleiten.

Ich glaube, dass wir einen für uns guten Weg mit Florian im Herzen gefunden haben. Auch nach 6 Jahren ist er immer wieder in unseren Gesprächen, wir feiern für und mit ihm Geburtstage, sein Namenskissen liegt im Wohnzimmer und wird immer wieder genutzt …

Und die Nestchen® sind für mich zu einem Ritual geworden. Die Zeit, die ich in die Nestchen® investiere ist Mutter-Sohn-Zeit, die ich total genieße – mit allen Höhen und Tiefen. Jedes Nestchen® entsteht in Gedanken an das jeweilige Kind und an unseren Florian. Das hilft mir dabei meinem Anspruch an Perfektion gerecht zu werden.

Die Wunden werden dadurch nicht immer wieder neu aufgemacht. Die Trauerwunde ist eh da und es ist eher ein Pflegen und Wahrnehmen, ein Annehmen dieser Wunde. Es ist mein Weg Frieden mit dem Tod unseres Sohnes zu machen, um auch ein Stück weit zu heilen.

In den letzten Jahren hat sich, gerade im Bereich der Aufmerksamkeit für stille Geburten und die Trauer der Eltern, einiges getan. Wo siehst Du noch den meisten Bedarf, ein Umdenken in unserer Gesellschaft herbeizuführen? Und was müsste man aus Deiner Sicht dafür tun?

Puh, das ist eine wirklich gute – und umfassende Frage, weil so viele Aspekte zu betrachten sind!

Mir ist wichtig, aus unserer Erfahrung heraus, dass Eltern möglichst alle Wege und Möglichkeiten kennen, um das für sie richtige auswählen zu können. Am Beispiel der Nestchen® müssen Eltern nicht nur die wissen, dass sie sich zwischen einer Einzel- und Sammelbestattung entscheiden dürfen, sondern sie müssen auch wissen was das in der Folge heißt. Bei einer Sammelbestattung steht der Name ihres Kindes nirgendwo. Bei einer Einzelbestattung tragen sie dazu bei, dass ihr Kind sichtbar bleibt – wenn auch “nur” auf dem Friedhof. Aber jeder der vorbeiläuft liest z.B. Florian Pechmann, 14.09.2016. Für manche ist es wichtig, für manche nicht.

Es gibt Särge, Pappschachteln, Weidenkörbchen und Nestchen®.
Wenn Eltern die unterschiedlichen Dinge nicht kennen und später davon erfahren, entsteht möglicherweise weitere Trauer, weil sie gerne etwas für ihr Kind gemacht oder gehabt hätten – es aber nicht wussten… so ging es uns mit den Fotograf:innen von DeinSternenkind. Zum Glück gibt es dort phänomenale Bildbearbeiter:innen!

Oder Fußabdrücke – ohne diese gibt es keine Chance auf ein Schmuckstück, z.B. von euch. Und verpasste Möglichkeiten sind weg! Ich habe keine Chance auf eine Wiederholung oder auf ein Nachholen. Das muss allen handelnden Personen noch klarer sein.

Und Zeit! Zeit mit dem eigenen Kind. Zum anfassen, zum begreifen, zum Willkommen heißen und Abschied nehmen. Das ist einer der Gründe warum es das Nestchen® nun mit einer Öffnung fürs Cuddle Cot* gibt und warum nun auch eins (und hoffentlich absehbar auch mehr) hier bei mir zur Ausleihe steht und bei Bedarf auch per Post verschickt wird, um ein Netz für die Sterneneltern zu spannen.

* Ein Cuddle Cot ist ein mobiles Kühlungssystem, mit dem Eltern ihr verstorbenes Kind länger bei sich behalten und sich somit mehr Zeit für den Abschied nehmen können.

Du bist, so wie wir, Partner bei Bohana. Warum bist Du dem Netzwerk beigetreten und was nimmst Du für Dich daraus mit?

Ich bin jetzt seit gut einem Jahr bei bohana und bin dort Netzwerkpartnerin geworden, weil es mir um genau das geht was wir Zwei gerade machen. Vernetzen, Kooperationen aufbauen, wissen wer in welchem Fall gute:r Ansprechpartner:in ist, um möglichst engmaschige Netze für Trauernde (Eltern) zu knüpfen. Gerade im Trauerbereich gibt es leider auch immer wieder die Erfahrung, dass Konkurrenz, Neid und Missgunst entsteht. Das ist so traurig und kräftezehrend und vor allem unnötig, weil wir ja eigentlich alle das gleiche Ziel haben. Und dieser Kooperationsgedanke, die gelebte Netzwerkpower, die macht bohana aus!

Wenn Du, aus Deiner eigenen persönlichen Erfahrung, Sterneneltern etwas mit auf den Weg geben könntest, was wäre das?

Ich denke, dass die wichtigsten Punkte zu Beginn sind, dass sich Sterneneltern Zeit nehmen bzw. sich Zeit geben sollten. In der Regel ist nichts dringend. In Ruhe verstehen, was passiert ist und vor allem in Ruhe entscheiden, was ihnen jetzt wichtig ist. Wer kann unterstützen und auffangen – es gibt mittlerweile spezialisierte Trauerbegleiter:innen oder Sternenkindvereine mit einem guten Netzwerk im Hintergrund.

Und Erinnerungen schaffenFotos, Abdrücke, Haarsträhnen, all das was nicht nachgeholt werden kann!

Seid geduldig und liebevoll zu euch und versucht keine Erwartungshaltung an euch oder eure:n Partner:in zu haben. Trauer ist einfach zu unterschiedlich.

Und auch wenn es gerade am Anfang (fast) unmöglich erscheint: versucht euch und eurer Trauer zu vertrauen, dass ihr euren Weg gehen könnt. Trauer ist Liebe, vergehen wird die nicht. Aber es ist möglich gut mit beiden (weiter) zu leben.

Euer Kind wird euch begleiten – immer!

NEU ab 2023: das Urnen-Nestchen

Als eine der ersten haben wir von Andrea’s neuem Nestchen erfahren und freuen uns sehr, Euch auch davon schon berichten zu können: das Urnen-Nestchen.

Dem Stil der Nestchen® treu bleibend haben Andrea und Markus nun die erste ausgekleidete Urne entwickelt und freuen sich sehr, diese nun anbieten zu können.

Der weiche Boden und die Umrandung setzen sich fort. Der Urne liegen ein Aschebeutel samt Verschluss zur Verplombung und ein genähter Überbeutel mit (Brief-)Tasche und Verschlussband bei. Ebenso ein sorgsam ausgewähltes Ablasssystem, so dass die Urne unkompliziert in die Erde hinabgelassen werden kann.

“Unser Wunsch ist es, dass insbesondere auch die Asche eines Sternenkindes würdevoll und voller Liebe gebettet und beigesetzt werden kann. Aus eigener Erfahrung wissen wir leider, wie wichtig und wertvoll ein gutes Gefühl in all der Tragik ist und den Trauerprozess so positiv beeinflusst,” hat Andrea mir dazu gesagt – und genau so ist es. Am Ende geht es um Liebe und darum, sie zum Ausdruck bringen zu können – und dazu gehört auch, ein geliebtes, gewünschtes Kind auf liebevolle, sorgsame Weise verabschieden zu können.

Bild: Rebekka Seitzer

Liebe Andrea, herzlichen Dank für unseren wundervollen Kontakt. Deine Kraft und Perspektive haben mich wirklich beeindruckt und ich finde es großartig, dass Ihr mit Euren Nestchen auch für andere Sterneneltern einen persönlichen, liebevollen Abschied von ihren Sternchen unterstützt. Ich freue mich sehr, dass wir uns über Bohana getroffen haben – und bei der nächsten Leben & Tod Messe in Bremen klappt es dann hoffentlich auch mit dem persönlichen Treffen!

Und wer mehr über Andrea, Markus, Florian und die Nestchen erfahren möchte, findet weitere Informationen auf der Webseite www.sterne-im-herzen.de – es ist so wichtig, dass es im Fall der Fälle jemanden gibt, der über die bestehenden Möglichkeiten für Sterneneltern Bescheid weiß und im richtigen Moment den richtigen Tipp gibt. Je mehr von uns das können, desto besser!

Alles Liebe

Eure Katja

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