Interview mit Birgit Rutz von der Hope’s Angel Foundation
Mit Birgit und ihrem Verein “Hope’s Angel” arbeiten wir mittlerweile seit drei Jahren zusammen. In dieser Zeit habe ich Birgit als wunderbar warmherzigen Menschen kennengelernt, sie engagiert sich für ihr absolutes Herzensthema und hat mit ihrem Netzwerk mittlerweile viele Eltern unterstützt und dazu beigetragen, dass das Thema Sternenkinder mehr Aufmerksamkeit und Sensibilität erfahren konnte. Birgit Rutz ist selbst Mutter von fünf Sternenkindern, sie ist zertifizierte Sterbebegleiterin, Familien-, Kinder- und Jugendlichentrauerbegleiterin sowie Geburts- und Trauerdoula. Sie hat das Netzwerk “Hope’s Angel” im Jahr 2015 gegründet und sich auf die Begleitung von Familien beim Frühtod ihres Kindes und nach pränatal-medizinischer Diagnose spezialisiert.
In letzter Zeit, auch durch die Verbindung zu Svana Seidel, hat das Thema auch für uns wieder eine starke Präsenz erhalten (auch wenn es nie komplett von der Bildfläche verschwunden ist, aber zur Zeit lese ich gefühlt deutlich mehr darüber als im letzten Jahr). Ich habe Birgit deshalb darum gebeten, mir einige Fragen zu ihrer Arbeit zu beantworten, und freue mich, Euch dieses Interview heute vorstellen zu können.
Liebe Birgit, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für meine Fragen nimmst. Als erstes möchte ich gern von Dir wissen, was aus Deiner Sicht den Verlust eines (neugeborenen) Kindes vom Verlust anderer Angehöriger im Erwachsenenalter unterscheidet. Fühlt sich die Trauer anders an?
Ein großer Unterschied zur Trauer im Erwachsenenalter ist, dass es Erinnerungen gibt. Bei Kindern, die in der Schwangerschaft sterben oder um die Geburt herum, gibt es (fast) keine Erinnerungen. Zudem findet das eigentliche Verlusterleben im Grunde nur bei den Eltern, evtl. den Geschwistern und Großeltern statt. Das Kind war ja bisher nur im Bauch der Mutter und hatte somit keinen realen Kontakt zu anderen. Diese erleiden daher auch keinen Verlust.
Die Trauer fühlt sich im Grunde erst einmal nicht anders an. Aber ich trauere nicht hauptsächlich um einen Menschen, der in meinem Leben fehlt, sondern um einen, den ich niemals wirklich kennenlernen werde.
Ich trauere nicht hauptsächlich um einen Menschen, der in meinem Leben fehlt, sondern um einen, den ich niemals wirklich kennenlernen werde.
Birgit Rutz
Ich lese auf Deiner Facebook-Seite häufig von Trost: wie kann man Eltern von Sternchen Trost spenden – und wollen sie das überhaupt? Oder gibt es Momente, wo sie einfach nur trauern und gar nicht getröstet werden möchten? Wieviel Raum braucht die Trauer, damit man damit umgehen lernen kann?
Jeder Mensch in Not möchte getröstet werden. Wir haben nur meist eine falsche Vorstellung von Trost. Trost ist nicht, dass ich etwas sage oder tue, damit das, was passiert ist, ungeschehen wird. Sondern Trost bedeutet eigentlich, dass man etwas sagt oder tut, dass einem hilft, das auszuhalten, was gerade auszuhalten ist.
Daher helfen eben Sätze wie „Es war doch noch so klein“, „Das passiert anderen auch“ oder „Vielleicht war es besser so“ etc. gar nicht. Wirksamer Trost brauch immer zunächst die Anerkennung der Situation, in der sich der zu Tröstende befindet. Und dann ist es tröstend, wenn jemand mit mir aushält, mir den nötigen Raum gibt, mir zur Hand geht etc.
Wir müssen also unsere Vorstellung von Trost ändern.
Was würdest Du Angehörigen und Freunden von Sterncheneltern empfehlen, wie sie auf sie zugehen können? Ich könnte mir vorstellen, dass viele gar nicht wissen, was sie sagen oder tun können, denn nichts kann das Sternchen zurückbringen. Was brauchen Eltern in dieser Situation an Unterstützung? Und was sollte man im Umgang mit ihnen möglichst vermeiden (z.B. Aussagen wie „es ist das Beste für das Kleine“ oder auch „Ihr müsst das Kind loslassen“ oder sowas, das braucht man bestimmt gar nicht, oder?)
Wie bei allen Trauernden sollten wir die Eltern so sein lassen, wie sie sind und sie genau so annehmen. Ihnen nicht vorschreiben, was sie zu fühlen haben und wie sie zu handeln haben. Oftmals offenbart das auch nur unsere eigene Hilflosigkeit und den Wunsch, dass wir uns das „trauernde Elend“ nicht mehr anschauen möchten.
Wir müssen begreifen, dass die Familien in einer absoluten Ausnahmesituation sind und ein Kind verloren haben – es spielt keine Rolle, wie alt es war. Die Eltern müssen verstehen lernen, was das alles bedeutet und sich selbst erst einmal kennenlernen in einer solchen Ausnahmesituation. Niemand kann ihnen vorschreiben, wie sie wann zu reagieren haben.
Wir dürfen sie so annehmen, wie sie gerade sind und ihnen ihre Zeit lassen. Sie müssen ihren Weg finden. Auch sollten wir niemals sagen, dass wir sie verstehen oder es nachfühlen können. Das ist ja in der Regel nicht so.
Wir sollten uns immer mal wieder ohne Erwartung melden. Zeigen, dass wir da sind und bleiben – egal, wie lange sie brauchen und wie oft sie „Nein“ sagen.
Wir können ihnen helfen, indem wir ihr Kind anerkennen und ihm einen Platz geben, von ihm sprechen.
Wie lange begleitest Du Eltern in der Regel und wie wichtig ist es, langfristig im Austausch zu bleiben? Gibt es Eltern, die die Situation gar nicht verkraften bzw. auch über längere Zeit damit nicht umgehen lernen? Welche Rolle spielen Gruppen und Netzwerke dabei, die Eltern aufzufangen?
Es ist total unterschiedlich, wie lange ich Eltern begleite. Bei manchen habe ich nur ein Beratungsgespräch, manche begleite ich bei der Geburt und/oder bei der Abschiednahme und Bestattung und darüber hinaus in Gruppen, Einzelgesprächen oder auch in Folgeschwangerschaften und danach. Der Bedarf ist da absolut unterschiedlich. Nicht alle brauchen eine Trauergruppe.
Manche kommen auch immer mal sporadisch und wenn sie wieder schwanger sind und holen sich dann nochmal Unterstützung oder wir schreiben/telefonieren mal.
Gruppen und Netzwerke sind immer wichtig und hilfreich, weil wir so immer situationsbedingt auffangen können, wenn es nötig ist.
Was ist für Dich der wichtigste Aspekt Deiner Arbeit mit Hope’s Angel?
Der wichtigste Aspekt für mich ist, dass es um Kinder geht – nicht um Fehl- oder Totgeburten oder Material. Es sind Kinder, die von den Eltern in Liebe gezeugt und erwartet wurden. All das hängt nicht von der Dauer der Schwangerschaft ab.
Diese Kinder sollen ihren Platz in ihrer Familie bekommen. Es geht nicht um eine schnelle Entsorgung eines toten Babys, sondern um das bewusst willkommen Heissen und das bewusst Verabschieden. Es geht darum, alles zu tun, was das Gefühl in den Eltern/Familien verfestigt, dass dieses ihr Sohn/ihre Tochter ist und sie Eltern sind. Dass es um den Bruder oder die Schwester geht.
Diese Kinder sollen ihren Platz in ihrer Familie bekommen. Es geht nicht um eine schnelle Entsorgung eines toten Babys, sondern um das bewusst willkommen Heissen und das bewusst Verabschieden.
Birgit Rutz
Was würdest Du Dir wünschen, was noch getan oder geändert werden müsste, um es den Eltern von Sternchen leichter zu machen?
Ich würde mir die Anerkennung dieser Kinder wünschen! Wenn das jeder tun würde, dann gäbe es die Probleme beim Gynäkologen, im Krankenhaus, beim Bestatter, in den Familien und Freundeskreisen nicht. Wir alle würden einen ganz anderen und viel wertschätzenderen Umgang pflegen.
Liebe Birgit, ich danke Dir sehr, das war ein sehr inspirierendes Interview, das mich einmal mehr sehr beeindruckt hat. Die Arbeit, die Du mit Deinem Netzwerk leistest, ist unheimlich wichtig und wir werden Euch selbstverständlich weiter nach Kräften unterstützen.
Wenn Ihr mehr über die Arbeit von Hope’s Angel erfahren und Euch engagieren möchtet, wenn Ihr vielleicht selbst betroffen seid oder in Eurem Familien- oder Freundeskreis Sterncheneltern habt, lege ich Euch die Webseite von Hope’s Angel sehr ans Herz: www.hopesangel.com – hier findet Ihr viele Informationen, sowohl für die Akutsituation als auch für die Zeit “danach”, Ansprechpartner und einfach jemanden, der Euch auffängt. Hope’s Angel finanziert sich komplett aus Spenden, die Organisation versorgt sowohl Krankhäuser als auch Eltern und Angehörige direkt kostenfrei mit wunderschönen Erste-Hilfe-Päckchen und Erinnerungsboxen (in denen auch unsere kleinen Abdruck-Schatzkästchen enthalten sind), vermittelt Sternenkindfotografen, Bestatter und Begleiter und schafft Raum für Eltern, gemeinsam zu trauern.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass man für Hope’s Angel auf verschiedenen Plattformen spenden kann: über Amazon Smile (hier wird von jedem Amazon-Einkauf ein kleiner Prozentsatz gespendet), über Facebook-Geburtstags-Spendenaktionen oder natürlich auch einfach direkt über den Button unten auf der Hope’s Angel Webseite. Auch ein Abo des Magazins “Herzenskind”, das Hope’s Angel dreimal im Jahr publiziert, hilft dabei, die Organisation zu unterstützen.
Alles Liebe
Eure Katja