Sprechen wir mal über … den Tod

Interview mit Sterbeamme Heidrun Rehnisch

Der Verlust eines geliebten Menschen – oder Tieres – tut immer weh. Mit dem Tod in Kontakt zu kommen, prägt uns auf eine Art und Weise wie sonst wenige Dinge. Meine Erfahrungen der letzten Monate haben mich und meinen Blick auf das Leben verändert. Deshalb wurde ich hellhörig, als eine Kundin von uns erwähnte, sie sei Sterbeamme. Dass es diesen Beruf überhaupt gibt, wusste ich vorher nicht – aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergab es für mich, analog einer Hebamme, die kleine Menschen und ihre Mütter auf die Welt begleitet, auch eine Sterbeamme zu haben, die Menschen auf dem Weg aus dem Leben und ihre Hinterbliebenen ebenso liebevoll durch den Abschied und die Trauer führen kann.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich viele Fragen habe und diese auch stellen möchte. Heidrun Rehnisch, Sterbeamme aus München, war direkt bereit, mir meine Fragen zu beantworten – und die Antworten haben mich sehr berührt, weshalb ich sie gern mit Euch teilen möchte. Als ich ihr von meinem eigenen Verlust erzählte, der für mich zum ersten Mal im Leben (ich schätze mich dafür glücklich) die direkte Berührung mit dem Lebensende bedeutete, sagte sie ganz spontan: „ja, diese Geschichte, welche Sie mir schreiben, ist meist das erste Mal, dass Menschen direkt mit dem Tod in Kontakt kommen. Warum? Weil er in unser Leben nicht mehr mit hinein genommen wird und zu unserem Leben nicht mehr ganz normal dazu gehört. Das ist schade, denn er gehört dazu. Und er wird uns früher oder später immer wieder begegnen.

Der Tod wird heutzutage bis zum letzten Atemzug verdrängt

Stefan und ich haben ja nun schon länger mit dem Thema zu tun, sei es durch unser Engagement für Hope’s Angel und die Eltern von Sternenkindern, sei es auch durch unsere Zusammenarbeit mit der Tierbestattung Sonnenaue in Maintal, dennoch ist es für uns nicht „normal“, das gebe ich zu. Wir hatten auch lange eine gewisse Scheu davor – vor allem eigentlich, weil wir selbst jedesmal sehr mitgefühlt haben, wenn wir mit Menschen telefoniert haben, die für verstorbene Kinder, Eltern oder Haustiere nach Abdruckmasse fragten. Deshalb fand ich die Antwort von Heidrun auf meine Frage, ob Menschen heutzutage anders mit Trauer umgehen als früher, wirklich beeindruckend.

Sie sagte: „Ja, weil er bis zum letzten Atemzug verdrängt wird. Sterben tun immer nur die andern oder der Nachbar etc. Wir als Gesellschaft setzen uns mit dem Tod nicht mehr aktiv auseinander. Für Kinder bleibt es mystisch, denn sie sollen “geschützt “ werden. Sie können den Tod nicht für sich entdecken oder herangeführt werden. Ich will damit ich nicht sagen, dass es früher besser war. Vielleicht normaler … Was ich aber auch sagen muss, ist, dass es ganz viele Menschen gibt, die den Tod wieder versuchen salonfähig zu machen. Die Bemühungen laufen … Und da möchte ich sagen, dass Sie auch ein Teil davon sind. Sie kreieren Lieblingsstücke, die unwiederbringlich sind und Halt geben können. Meinen Respekt. Und damit machen Sie sich schon mal auf etwas zu verändern.“ So habe ich das bisher noch gar nicht gesehen, um ganz ehrlich zu sein, aber wenn ich da so drüber nachdenke, hat Heidrun hier wirklich genau das Richtige gesehen.

Wie wird man denn nun eigentlich Sterbeamme?

Wenn ich mir das vorstelle, andere Menschen beim Abschied und durch die Trauer zu begleiten, so glaube ich, dass man, um Sterbeamme zu sein, ein sehr starker, gefestigter Mensch sein muss. „Meine Ausbildung als Krankenschwester liegt schon eine ganze Weile (1983-86) zurück. Im Laufe der Jahre hab ich so meine Erfahrungen mit Tod und Sterben gemacht. Als ich jung war, sehr krasse und teilweise auch brutale. Das war nicht schön. Ich habe lange nach Wegen gesucht, um dies aufzuarbeiten. Die Erlebnisse verschwinden nicht einfach. Nach einer tiefen Lebenskrise, so 1996/97, habe ich dann angefangen, aktiv Ausbildungen zu suchen, in denen ich “lernen” kann, mit Sterben und Tod umzugehen. Ich war Hospizhelfer, hab dann die Palliative Care Ausbildung gemacht, bis ich dann, dank Google, Claudia Cardinal kennen lernen durfte. Bei ihr habe ich die Ausbildung zur Lebens- und Sterbeamme gemacht und bin seit 2013 Zertifizierte Lebens- und Sterbeamme nach Claudia Cardinal.

Seit 2016 bin ich auch Dozentin an der Sterbeammenakademie und unterrichte vor allem im Süden Deutschlands. Nach dieser Ausbildung habe ich mehr Antworten bekommen und war dann einfach sicherer im Umgang mit den Klienten. Ich kann in einer Begleitung nicht auf jede Frage eine Antwort geben, aber ich kann für die Klienten da sein und wir können gemeinsam nach Antworten suchen. Es ist mir ganz wichtig, dass viele Fragen, die oft zu klären sind, geklärt werden können. Dass so wenig wie möglich im Abschiedsprozess belastet und gut Abschied genommen werden kann. Für Angehörige ist es immer wieder, gut neue Ideen, gerade auch bei anstehenden Beerdigungen, zu kreieren. Die Bestatter tun mir manchmal etwas leid … da müssen sie durch. Angehörige sind oft sehr dankbar dafür.

Wie geht man mit Trauernden um?

Da ich selbst, wie schon in meinem Beitrag über das Kondolieren geschrieben, bis vor Kurzem selbst eher unsicher war, wie ich Menschen, die trauern, ansprechen kann, habe ich Heidrun auch gefragt, was sie Menschen empfehlen würde, die nicht wissen, wie sie mit einem Trauernden umgehen sollen. „Ganz ehrlich? Nichts anderes als mit anderen Menschen auch. Trauernde sind in einer besonderen Situation, aber nicht ansteckend oder infektiös. Ich spreche mit ihnen, bleibe im Angebot. Ich sage: Ich melde mich nächste Woche am … bei Ihnen. Das mache ich dann auch. Ich bin verlässlich. Halte ich es aus, wenn sie weinen. Ja. Und es ist gut wenn sie in Tränen ausbrechen. Das ist nämlich ganz normal und gut so. Also das ist meine Meinung. Ich kann auch mit Trauernden ganz normal sprechen. Die verstehen was ich sage. (Das klingt wahrscheinlich etwas flapsig, kommt aber aus der Erfahrung heraus, was Leute einfach nicht machen…) Und wissen Sie, was krass ist, das Gehör bei Trauernden ist sehr ausgeprägt … Haben Sie diese Erfahrung auch schon gemacht, wenn jemand ganz leise gesprochen hat? Die Menschen haben einfach oft auch selber noch keine Erfahrungen gemacht oder sich damit nicht auseinander gesetzt, daraus resultiert oft die Unsicherheit …

Dass Tränen erleichtern können, und dass man sie, wenn alles noch ganz frisch ist, auch gar nicht unterdrücken kann, kann ich bestätigen. Die Trauer zuzulassen finde ich wichtig, oft kommt mir alles noch wahnsinnig unwirklich vor – und ich habe mal irgendwo gelesen, dass es bestimmte Phasen gibt, die man beim Trauern durchläuft. Eine davon soll wohl sein, dass man den Verlust überhaupt nicht wahr haben will – und tatsächlich: der Kopf sagt „es ist vorbei, er ist weg“ und das Herz sagt „das kann nicht sein, er ist doch noch hier“. Ich habe Heidrun nach diesen Phasen gefragt und sie meinte: „Ja, auf alle Fälle, aber nicht jeder durchläuft diese Phasen. Sie könne mal mehr, mal weniger oder gar nicht ausgeprägt sein. Ich hänge mich in einer Begleitung nicht daran. Ich nehme und arbeite mit dem was da ist und mir mein Gegenüber bietet (welcher der Experte ist) und sich wünscht.

Was hilft, wenn die Trauer noch ganz frisch ist?

Da sein, Schauen, was gebraucht wird. Einbinden in die Gesellschaft. Im Angebot bleiben. Nicht sauer sein, wenn das Angebot nicht angenommen wird. Verbindlichkeit. Wenn möglich ein “Dorf” bauen mit dem Hintergrund, wer macht was, damit der Trauernde Halt hat! „Frisch“ ist oft relativ. Wichtig ist vor allem auch, wer in einem halben Jahr noch auf den Trauernden schaut. Da kann die Einsamkeit ganz schön groß sein.

Man sagt ja, die Zeit heilt alle Wunden, ich sehe aber, dass das nicht immer so zutrifft. Ich kenne auch Menschen, bei denen es mit der Zeit eher schlimmer wird. Wie sieht Heidrun das denn? „Schwierig. Ich finde, die Zeit heilt die Wunden nicht, aber der Umgang mit dem Verlust kann leichter werden. Bei manchen auch nicht. Ich kenne mittlerweile einige Trauernde, welche z.B. Ehepartner oder Kinder vor Jahren/Jahrzehnten verloren haben. Es wird lebbarer (Was sollen sie auch machen? Sie sind noch hier auf der Erde.) Manchmal wird der Schmerz auch weniger, aber weg? Weg geht er nicht.

Trauern um Tiere

Ähnliches, so bin ich mir sicher, empfinden auch Tierbesitzer, gerade weil viele ihre Tiere auch als Familienmitglieder ansehen, für manche sind sie wie Kinder. Da viele unserer Tiere eine deutlich kürzere Lebensspanne haben als wir, stelle ich mir diesen Abschied ähnlich schwierig vor. Ich überlege, ob es nicht vielleicht auch Sterbeammen für Tierbesitzer geben sollte – oder vielleicht gibt es das und ich weiß es nur noch nicht? In jedem Fall finde ich es wichtig, sich mit dem Tod auseinander zu setzen, weil der Blick auf die Endlichkeit unseres Lebens auch unseren Umgang mit unserer Zeit beeinflusst.

 

Wer noch mehr über die Ausbildung zur Sterbeamme nach Claudia Cardinal wissen möchte, findet hier ihre ausführliche Webseite: http://www.sterbeamme.eu/.

Außerdem habe ich auf EditionF, einem Magazin, das ich selbst ausgesprochen gern lese, verschiedene Artikel zum Thema Trauer und auch Tiertrauer gefunden:
>> Was hilft uns beim Trauern, wenn ein geliebter Mensch gestorben ist?
>> Warum der Verlust eines Haustiers so weh tut

 

Ich möchte mich ganz herzlich bei Heidrun Rehnisch bedanken, die mir nicht nur meine Fragen beantwortet, sondern mich durch ihre einfühlsame Art und ihre tiefgründigen Gedanken tief beeindruckt und selbst zum Nach- und Weiterdenken angeregt hat. Vielleicht ist es wirklich Zeit, einen anderen Umgang mit dem Tod zu pflegen. Sterbeammen leisten hierfür einen wichtigen Beitrag und ich wünschte, ich hätte davon schon eher gewusst, denn auf viele Fragen rund ums Sterben findet man im Netz nur unzureichende Antworten. Nicht zuletzt kann so eine persönliche Begleitung unheimlich tröstlich sein und einem dabei helfen, den Prozess des Sterbens ruhiger zu erleben und für sich annehmen zu können, so hart und traurig er auch sein mag.

Sprechen wir doch mal drüber! Ich freue mich über Eure Kommentare, ob Ihr schon Erfahrungen mit dem Tod gemacht habt, wie Ihr es erlebt habt, und ob es in Euch etwas verändert hat. Was meint Ihr, sollten wir in unserer Gesellschaft einen anderen Umgang anstreben?

Alles Liebe,
Eure Katja

 

PS: ach ja, hier übrigens ein Bild der beiden Schmuckstücke, die Heidrun bei uns hat anfertigen lassen. Schmuck mit Fingerabdruck haben wir momentan ja nicht regulär im Programm, weil wir unsere Fertigung umgestellt haben und die Schmuckstücke vom Stil her jetzt etwas anders aussehen, da müssen erstmal wieder Fotos von Prototypen her, bevor wir sie im Shop offiziell anbieten können. Allerdings sind sie natürlich auf Anfrage nach wie vor bei uns erhältlich. Heidrun wollte für sich und ihren Mann eine ganz besondere Form eines Engels, die wir gemeinsam entwickelt und solange angepasst haben, bis sie genau ihren Vorstellungen entsprach.

Titelfoto: Johannes Plenio über Pexels

Schreiben Sie eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert